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Geno-Impuls Nr. 4

Das Hafenmeisterdilemma und die Ambiguität zentraler Dienste

Von Thomas M. Brösamle

 

Ich werde in diesem Blog thematisch etwas hin und her springen; ich hoffe trotzdem, dass sich für Sie am Ende alle Kreise schließen.
 
Sicherlich ist Ihnen das Akronym VUKA (oder VUCA)-Welt schon mal begegnet. Besonders eingängig sind dabei die ersten drei Begriffe „Volatilität“, „Unsicherheit“ und „Komplexität“. Etwas anders verhält es sich mit dem sperrigen Begriff „Ambiguität“. Gemeint ist damit, dass Sachverhalte so oder anders gedeutet werden können und/oder die zunehmende Gefahr, dass Dinge falsch interpretiert werden. Beispiel: Alle sprechen im genossenschaftlichen Finanzverbund vom Megatrend Digitalisierung. Man gewinnt ab und an den Eindruck, als gäbe es nichts anderes. Sicherlich ein wichtiges Thema für die Zukunftssicherung der Primärstufe, aber für mich ist es im Kontext Wertschöpfung auch „süßes Gift“ - warum? Lesen Sie dazu meine zentralen Thesen auf der Startseite. 

Meine provokante These im Kontext VUKA-Welt: Der Nutzen zentraler  Dienste wie Prozess- oder Personalmanagement ist uneindeutig bzw. zweifelhaft! Ich will versuchen das aus meiner Perspektive zu beleuchten. 
 
Aber zunächst eine Denksportaufgabe für Sie - das Hafenmeisterdilemma. Grübeln Sie lange und intensiv, Sie werden keinen Haken an der Geschichte finden ;-)
Stellen Sie sich einen Hafen vor an dem drei Schiffe gleichzeitig einlaufen. Alle drei Kapitäne möchten, dass ihre Ladung als erstes gelöscht wird, damit sie dann wieder möglichst schnell den Hafen verlassen können - time is money.

 

 

Quelle: Vollmer & Scheffczyk GmbH - Für den neuen Maschinenbau

 

Der Hafenmeister 1.0 (linker Teil der Abbildung) lässt sich von den Kapitänen so unter Druck setzen, dass er keinen klaren Gedanken mehr fassen kann. Was macht er also? Er schickt jeweils einen seiner Hafenarbeiter auf alle drei Schiffe um die Ladung zu löschen. Alle drei Kapitäne sind zufrieden - es wird ja auf ihrem Schiff augenscheinlich gearbeitet. Der Hafenmeister ist ebenfalls beruhigt - alle drei Mitarbeiter sind beschäftigt. Nach exakt drei Stunden laufen alle drei Schiffe wieder zeitgleich aus.

 

Der Hafenmeister 2.0 (rechter Teil der Abbildung) hört sich die Anforderung seiner Kunden ebenfalls an, lässt sich aber nicht unter Druck setzten und schließt einen Deal mit ihnen. Er erklärt ihnen, dass er die Ladung der Schiffe nacheinander löschen wird und erreicht damit, dass das erste Schiff bereits nach einer Stunde auslaufen kann, das zweite Schiff nach zwei Stunden und das Dritte nach 3 Stunden. Das letzte Schiff ist also keine Minute länger im Hafen als im linken Szenario - die Arbeit für die Hafenarbeiter ist in beiden Beispielen die gleiche.

 

Die möglichen Vorteile bei einer priorisierten Löschung der Ladung sind:

 

  1.  Aus Perspektive der Kunden ist erhebliche Zeit gewonnen (3 Stunden - also ca. 30 Prozent).
  2. Es gibt keinen Verlierer, weil der letzte in der Reihenfolge nicht länger im Hafen liegt als im Szenario 1.
  3. Der Hafenmeister benötigt nur 1 Dock und erzielt dadurch vermutlich neben zeitlichen auch finanzielle Vorteile.
  4. Nachdem er 2 von drei Schiffen schneller bedient, erhält er vermutlich auch schneller sein Geld für die erbrachte Leistung.
  5. Er kann beim nächsten Mal die Reisegeschwindigkeit von Schiff 2 und 3 drosseln lassen und so den Reedereien Kostenvorteile über einen reduzierten Treibstoffverbrauch ermöglichen.

Was ist nun das Fazit?

 

  1. Lars Vollmer beschreibt das wie ich finde sehr treffend mit dem Bild einer Kamera. Man muss die Blende öffnen und somit eine weitere Perspektive (die des Kunden) sichtbar machen.
  2. Effizienz ist nur eine Messgröße für Wirtschaftlichkeit. In unserem Beispiel ist sie in beiden Szenarien gleich (alle 3 Hafenarbeiter arbeiten exakt 3 Stunden). Aber für die Wirtschaftlichkeit gibt es noch weitere Dimensionen (beispielsweise die Durchlaufzeit).
  3. Nur weil augenscheinlich alle Beteiligten zufrieden sind wie im linken Szenario (Kunden weil an ihrem Problem gearbeitet wird, Hafenmeister weil alle Arbeiter ausgelastet sind), heißt das eben nicht, dass es nicht vielleicht doch eine bessere Lösung gibt.
  4. Die Lösungsebene muss über der Problemebene liegen - die bessere Lösung bleibt sonst unsichtbar; oder anders: Das Gute ist der Feind des Besseren.

Die Beratungsfirma Vollmer & Scheffczyk GmbH (kurz V & S) hat mir dankenswerterweise die o.g. Grafik zur Verfügung gestellt. V & S berät Firmen im Bereich Maschinenbau mit eben genau der oben beschriebenen Herangehensweise und erzielt damit beachtliche Erfolge. Aus einem Gespräch mit Fabian Schünke (Berater bei V & S) weiß ich, dass es oftmals nicht leicht ist, einen Werksleiter zu überzeugen, dass eine teure Maschine auch mal still stehen muss um wirtschaftlich im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung zu arbeiten.  

  

Liebe Prozessmanager - sind Sie nicht auch oftmals in der Rolle des Hafenmeisters? Alle internen Kunden bombardieren Sie zeitgleich und ungeduldig mit Anforderungen / Wünschen  mit der Folge, dass an vielen Projekten gleichzeitig gearbeitet wird bzw. laufend neue "Baustellen" eröffnet werden.

 

Ich will zwei kurze Analogien herstellen um es zu veranschaulichen:

 

  1. Wie bei einem Schneepflug schieben Sie Tag für Tag jedes Thema ein Stück nach vorne, bekommen aber keines abgeschlossen. Sie selbst aber auch Ihre (internen) Kunden haben das beklemmende Gefühl, dass mal wieder nichts fertig wird.  
  2. Die Konzentration des Jongleurs steigt mit jedem Kegel den er zusätzlich in der Luft hält. Es wird zunehmend stressig; je mehr Kegel er in der Luft hat, desto weniger Zeit hat er für den einzelnen Kegel. Er nimmt seine Umwelt kaum noch wahr und droht jeden Augenblick zu scheitern.  

 

Mein 1. Teil der Empfehlungen für Sie:

 

  1. Limitieren Sie den sogenannten "Work in Progress" - arbeiten Sie also priorisiert und schalten Sie Ihre Projekte "in Kette" und eben nicht parallel.
  2. Einigen Sie sich mit Ihren internen Kunden hinsichtlich der Prioritäten und vor allen Dingen auf einen Zeitpunkt wann etwas fertig sein muss und nicht wann damit zur allgemeinen Beruhigung aller Beteiligten begonnen wird.
  3. Projekte mit Wertschöpfungsbezug sollten immer Vorfahrt haben. Oftmals wird nach meiner Wahrnehmung zu viel Zeit und Energie in interne Projekte und Vorhaben investiert.
  4. Versuchen Sie immer trotz oder gerade wegen Ihrer Arbeitsbelastung "auf die Leiter zu steigen" um Ihr eigenes Tun zu reflektieren und um den Überblick zu behalten. Denken Sie daran: Die Lösungsebene muss über der Problemebene liegen.
  5. Behalten Sie die Durchlaufzeiten im Blick. Auch wenn alle Prozessmanager beschäftigt sind, macht es für die (internen) Kunden einen großen Unterschied wann ein Thema fertig ist (siehe Hafenmeisterdilemma).
  6. Jemanden zu vertrösten, weil derzeit fokussiert an einem anderen Thema gearbeitet wird erfordert Mut und Stärke. Sie haben beides - also beweisen Sie es!

 

Im zweiten Teil dieses Geno-Impulses möchte ich nun auf den zweifelhaften Nutzen von zentralen Diensten wie Prozess- und Personalmanagement eingehen. Natürlich macht es vermutlich wenig Sinn, die technische Administration von Prozessen oder Gehaltsabrechnungen zu dezentralisieren. Solche Dienstleistungen möchte ich bei meiner Betrachtung bewusst ausklammern.

 

 

Ihren Ursprung haben (Fach-)Abteilungen in der tayloristischen Arbeitsorganisation der letzten gut 100 Jahre. Für den komplizierten Teil der Wertschöpfung eine sehr sinnvolle und bewährte (vertikale) Aufteilung. In dieser Zeit gab es meines Erachtens auch keine Notwendigkeit diese Form der fachlichen bzw. thematischen Fragmentierung in Frage zu stellen (lesen Sie meinen Geno-Impuls Nr. 1).

 

Kurz und knapp die Vorteile aus dieser Arbeitsteilung:

 

  1. Bündelung der Kräfte durch Spezialisierung und Zentralisierung an einer Stelle in der Bank
  2. Der Bedarf an Unterstützungsleistung ist zeitlich und thematisch sehr unterschiedlich innerhalb der Bank verteilt
  3. Klarheit hinsichtlich Aufgabenverteilung und Schnittstellen innerhalb der Organisation.

 

Vielleicht beobachten Sie auch in Ihrer VR Bank einen aufkommenden Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieser Arbeitsteilung bzw. der Zentralisierung. Warum das so ist, ist schnell erklärt. Denken Sie dabei einfach an die Unterscheidungen im Geno-Impuls Nr. 2. Die Wertschöpfung der Ausnahme (also der rote, komplexe Teil) nimmt zu und erfordert eine neue Form der Zusammenarbeit - es kommt also die Zeit der Dezentralisierung auch oder gerade für Leistungen wie Prozess- und Personalmanagement. Der Fachbegriff: funktional integrierte Teamarbeit.  

 

Schritt 1: Auflösung dieser zentralen Dienste wie Personal oder Organisation und Angliederung in den Fachbereichen. D.h. jeder Fachbereich kümmert sich selbst um Themen wie beispielsweise die Umsetzung von prozessualen Verbesserungsmaßnahmen oder die interne / externe Personalbeschaffung. Alle Mitarbeiter (des Fachbereiches) fühlen sich dafür verantwortlich. Es braucht also keinen Spezialisten mehr mit "1-Hilfe-Koffer".   

 

Schritt 2: Die Durchlässigkeit und Agilität in der VR Bank hat einen hohen Reifegrad erreicht, so dass sich je Problem- bzw. Aufgabenstellung die Teams dezentral neu formieren und dann nach erfolgreichem Abschluss wieder auflösen.

 

Mein 2. Teil der Empfehlungen für Sie:

 

  1. Beginnen Sie auf Basis der Trennung der Wertschöpfung der Norm und der Wertschöpfung der Ausnahme mit Gedankenspielen rund um Alternativen zu der heutigen klassischen funktional getrennten Zusammenarbeit.
  2. Dezentralisieren Sie Personal- oder Organisationsthemen im Rahmen eines Pilotbetriebes durch Angliederung in einem (großen) Fachbereich. Reflektieren und bewerten Sie die Ergebnisse zum Ende der Testphase. Macht die Ausweitung auf die Gesamtbank Sinn? Wenn ja, wann und wie?
  3. Beginnen Sie sich mit der Einführung bzw. der Pilotierung der "funktional integrierten Teamarbeit" mit Wertschöpfungsbezug im Rahmen eines Labors bzw. eines sog. "Schutzraumprojektes" gedanklich auseinander zu setzen. Idealerweise starten Sie dabei mit Hypothesen, also was versprechen Sie sich davon bzw. was soll nach der Realisierung anders oder besser laufen? 

 

Nachfolgend noch der Link zur Vollmer & Scheffczyk GmbH - vielleicht hat ja der ein oder andere Ihrer Firmenkunden aus dem Maschinenbau einen Beratungsbedarf hinsichtlich Optimierung oder Restrukturierung. Meine uneingeschränkte Empfehlung!

 

https://www.v-und-s.de/

 

     

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