Planung / Steuerung oder doch besser Menschen und wie dabei ein Pfirsich ins Spiel kommen kann.
Von Thomas M. Brösamle
Was ist denn überhaupt Steuerung im Zusammenhang mit Dynamik und Komplexität? Gerhard Wohland definiert es folgendermaßen: „Steuerung ist die Übertragung von Wissen, setzt also einen
Wissensvorsprung voraus." Und an anderer Stelle: "Steuerung nutz den Kompetenzvorsprung des Zentrums, um Anweisungen an die Peripherie zu generieren, und Macht, um sie auszuführen". Zentrum meint
dabei im Kontext VR Banken das Management inkl. der zentralen Steuerungseinheiten. Peripherie hingegen alle Organisationseinheiten, welche sich um die wertschöpfenden Kundenprobleme kümmern
(Achtung: nicht nur Vertrieb, sondern auch Teile der Produktion, also alles was man unmittelbar im Zusammenhang mit Kundenberatung benötigt). Klassische Elemente der Steuerung sind beispielsweise
Planung, Budgetierung, Kennzahlensysteme, Zielvereinbarungen, Arbeitsanweisungen, Prozesse, Vorgänge und sonstige Regeln. In Zeiten des Taylorismus (vgl. Geno-Impuls Nr. 1), geprägt durch weite,
träge Märkte und komplizierten Kundenanforderungen, eine passende und bewährte Form der Arbeitsteilung.
Was passiert aber nun, wenn durch steigende Dynamik am Markt der Wissensvorsprungs des Zentrums wegfällt? Das für die Steuerung verantwortliche Zentrum bzw. Management versucht das
Steuerungssystem zu reparieren und "zieht die Zügel an" - mehr Steuerung, mehr Überwachung, kürzere Reportingzyklen mit fatalen kulturellen Nebenwirkungen (steigendes Misstrauen, Rechtfertigungen
und Beschuldigungen, wachsender Druck ...). Die Folgen sind oftmals hohe Planabweichungen, trotz eines gegenteiligen Steuerungsziels und münden im schlimmsten Fall in einem Kollaps der
Organisation.
Man geht derzeit davon aus, dass der komplizierte, beherrschbare Teil der Wertschöpfung in Unternehmen nach wie vor 60% - 90% ausmacht. Für diesen Teil ist die klassische Arbeitsteilung zwischen
Zentrum und Peripherie wie oben beschrieben durchaus geeignet. Für den wachsenden komplexen Teil jedoch nicht - hier braucht es also ein alternatives Organisationsmodell.
Bevor ich Ihnen mögliche Alternativen aufzeige, zunächst mal der Versuch der Annäherung mit etwas Grundlegendem. Ich folge dabei den Gedanken von Niels Pfläging und Silke Hermann aus ihrem
gemeinsamen Buch "Komplexithoden", welche dort von „Organisationsphysik“ sprechen. Wie in der Physik geht es um die grundlegende Beschreibung von beobachtbaren Phänomenen,
insofern ein treffender Begriff.
Aus: Pfläging,Niels / Hermann, Silke: Komplexithoden- 2015
Jede Organisation hat grundsätzlich drei Strukturen. Eine formelle Struktur (blau) - im Sinne meiner ersten beiden Geno-Impulse ist das die Welt von Organigrammen, Hierarchie und funktionaler Trennung. Man spricht dabei gerne von der Vorderbühne einer Organisation. Wie im Theater ist es der sichtbare Teil, also dort wo regel- und systemkonform gearbeitet wird - werden muss und sich Mitarbeiter entsprechend verhalten bzw. anpassen. Lars Vollmer beschreibt manches Gebaren gerne als "Businesstheater". Die Währung im formellen Teil der Organisation ist Macht.
Daneben existiert der informelle Teil einer Organisation, welcher einfach da ist, egal ob man es möchte oder nicht. Hier dreht sich alles um die Interaktion von Menschen
ohne niedergeschriebene Regeln oder festgelegte Abläufe - es ist der hochgradig komplexer Teil der Organisation, also rot - die sogenannte Hinterbühne. Hier herrscht soziale
Dichte (Wer kann mit wem? Wer kennt wen? Wer schuldet wem noch etwas? Wer hat einen Wissensvorsprung gegenüber anderen? ...). Die Währung ist nicht Macht wie im formellen Organisationsteil,
sondern Einfluss. Dieser ist meist wirkungsvoller als formale Macht.
Die notwendigen Erträge werden im dritten Teil der Organisation, in der Wertschöpfungsstruktur des Unternehmens erwirtschaftet. Jedes Unternehmen hat eine solche, wobei ich
der Überzeugung bin, dass diese in den wenigsten Volks- und Raiffeisenbanken so aussieht, wie oben dargestellt. Ich will kurz begründen warum. Das Gebilde wird von Niels Pfläging gerne als
Pfirsich bezeichnet. Der Fruchtkern ist das Management, dieses sitzt in der Mitte. Im Fruchtfleisch, also um den Kern herum sitzen Zellen. Diese verbinden sich zu Netzwerken - welche instabil
sind, ändern sich also im Zeitverlauf je nach Notwendigkeit. Der Blick aller Akteure im Unternehmen ist auf die Peripherie gerichtet, also zum Kunden (angedeutet durch die nach außen laufenden
Pfeile). Wertschöpfung entsteht an der Pfirsichhaut, also genau am Übergang zwischen Frucht (Unternehmen) und Umwelt (Peripherie). Die Netzwerke setzen sich je Thema, je Kundenanforderung immer
wieder neu zusammen, um der Überraschung und Dynamik des Marktes gerecht zu werden. Die Zusammenarbeit ist geprägt von Eigenverantwortung, Selbstorganisation und gemeinsamer Arbeit an echten
wertschöpfenden Kundenanforderungen - der Fachbegriff hierfür: funktional integrierte Teamarbeit. Sollten Sie Ihre Organisation bereits so ausgerichtet haben, dann gratuliere ich
Ihnen recht herzlich - Sie sind damit vermutlich für die Zukunft gut gerüstet.
Leider sieht aber die Realität in den meisten VR Banken, insbesondere in der Gruppe der großen Institute anders aus. Eine tayloristische Arbeitsorganisation steht (noch) im Vordergrund - natürlich befeuert durch die aufsichtsrechtlichen Anforderungen, insbesondere die Notwendigkeit zur Funktionstrennung.
Aus: Pfläging, Niels/Hermann, Silke: Komplexithoden (2015)
Vielleicht erinnern Sie sich noch an den Geno-Impuls Nr. 1 wodurch die Trennung im wesentlichen geprägt ist? Eine funktionale Teilung in der Vertikale in Management und Arbeit, in der Horizontale in unterschiedliche (Fach)-Abteilungen und zeitlich in Planung, Ausführung und Kontrolle (PDCA-Zyklus). Aber warum soll denn nun diese Arbeitsorganisation für die komplexe Gegenwart und Zukunft ausgedient haben? Ich will versuchen, das an einem konkreten Beispiel zu veranschaulichen.
Der Berater der VR Bank 1.0 wird mit einem neuen, echt schwierigen Kundenproblem konfrontiert. Er weiß, dass die Bank die Kompetenz hat dieses zu lösen und mit der Lösung einen guten
Deckungsbeitrag erwirtschaften könnte. Leider ist es ihm nicht möglich, die Anforderung alleine und zügig im Sinne des Kundenbedürfnisses zu lösen. Er spricht mit seinem
Abteilungsleiter, der wiederum mit dem verantwortlichen Bereichsleiter, ob man das Thema, weil neu aber trotzdem interessant und ertragreich weiter verfolgen soll. Nach weiteren Abstimmungen
innerhalb des Vertriebsressorts kommt man gemeinsam zu dem Schluss, dass man es realisieren möchte und startet unter Einbindung aller notwendigen Stellen (in diesem Fall eigentlich jede
Organisationseinheit der Bank) den notwendigen Neu-Produkt-Prozess. Der junge Berater hängt sich voll rein und treibt den internen Abstimmungs- und Genehmigungsprozess voran. Ein zermürbendes
Unterfangen, weil keiner der Beteiligten den Blick auf das große Ganze hat bzw. haben kann - jeder ist in seiner fachlichen Spezialisierung gefangen.
Schließlich gelingt es ihm nach ca. 4 Wochen, das von der Geschäftsleitung genehmigte Neuprodukt dem Kunden mit großem Stolz vorzustellen. Der Kunde bedankt sich für die Mühe und das Engagement des jungen Beraters und erklärt diesem, dass er bereits vor zwei Wochen ein unterschriftsreifes Vertragswerk seiner zweiten Hausbank bekommen hat. Die zweite Hausbank, die VR Bank 2.0 hat es schneller gelöst, ist also mit der Dynamik und Überraschung, welche aus der Kundenanforderung resultierte, besser zurecht gekommen.
Was ist schief gelaufen? - eine Manöverkritik: Das Kundenbedürfnis konnte dezentral, also in der Peripherie nicht eigenverantwortlich gelöst werden, sondern musste in der hierarchischen und
funktional geteilten Organisation aufbereitet bzw. bearbeitet werden. Ein echter Zeitfresser ist die Einbindung nahezu aller wesentlichen Funktionen der Organisation. Neben den starren,
bürokratischen Prozessen rund um das Thema Neu-Produkt-Prozess, fehlte es an der gemeinsamen externen Referenz, also dem gemeinsamen Blick auf den Kunden bzw. dessen Problem / Anforderung. Jede
am Neu-Produkt-Prozess beteiligte Stelle betrachtete das Thema durch die eigene Brille bzw. aus der eigenen Rolle heraus - die funktionale Trennung der Bank wurde ihr an dieser Stelle zum
Verhängnis. Ein weiteres Problem dabei ist die Steuerungsmacht des Zentrums bzw. des Managements - nur dieses kann das neue Produkt genehmigen bzw. den Prozess formal abschließen. Ein Phänomen,
das wohl insbesondere in großen Organisationen beobachtbar ist. Die VR Bank wurde so zum Opfer der eigenen Umstände - die Zeit ist ihr sprichwörtlich zwischen den Fingern zerronnen.
Die VR Bank 2.0 war schneller. Aber welche Organisationsform könnte den Vorsprung ermöglicht haben?
Die VR Bank 2.0 ist modern, innovativ und vor allem mutig. Sie kann komplizierte (blaue) und komplexe (rote) Kundenprobleme unterscheiden und hat die notwendigen organisatorischen Voraussetzungen geschaffen, diesen unterschiedlich zu begegnen. In unserem Beispiel hat sie alle wesentlichen Kompetenzen für das Lösen der neuen Kundenanforderung in einem Team gebündelt. Alle Kollegen arbeiten gemeinsam am Problem, alle sehen den Kunden und dessen Anforderung. Je nach Aufgabenstellung kann sich das Team auch neu formieren, die Organisation lässt das zu - sie ist durchlässig bzw. fluid. Das Zentrum kennt seine Grenzen, unterstützt die Peripherie im Sinne eines Lieferanten oder Dienstleisters und beschränkt sich auf Aufgaben wie Strategie, Steuerung (für den blauen Teil der Wertschöpfung) und Compliance-relevante Aufgaben (Funktionstrennung etc.). Simplifiziert könnte das dann wie folgt aussehen:
Aus: Pfläging, Niels/Hermann, Silke: Komplexithoden (2015)
Eine Zusammenfassung dieses Geno-Impulses als Zitat aus Komplexithoden von Niels Pfläging und Silke Hermann: „In Komplexität muss Organisation föderativ sein. Wenn außen Markt regiert, ist es innerhalb der Organisation die Peripherie, die Geld verdient, am Markt lernt, sich schnell und intelligent anpassen kann. Das Zentrum verliert seinen Kompetenzvorsprung - es kann kaum noch nützliche Anweisungen geben, Steuerung kollabiert. Kopplung zwischen Peripherie und Zentrum muss entsprechend so gestaltet sein, dass es möglich ist, Marktdynamik aufzunehmen und zu verarbeiten. Dazu muss die Peripherie das Zentrum marktlich steuern und Ressourcenhoheit besitzen. Im Prinzip der Dezentralisierung geht die Rückgabe der Autonomie und Entscheidungshoheit an die Peripherie immer weiter. Dezentralisierung hört niemals auf.“
- Lasst den Markt ins Unternehmen
- Baut Mannschaften
- Nomadisiert Führung
- Leistet als Team
- Lasst Euch selber denken
- Demokratisiert Wissen
- Haltet Euch fit
https://intrinsify.de/future-leadership-to-go/
- Kennen Sie das Phänomen des kleinen bzw. kurzen Dienstweges - wenn auf der Vorderbühne nichts mehr läuft, weicht man auf die Hinterbühne aus. Es tritt insbesondere bei stark hierarchisch geführten Unternehmen auf. Wenn die offiziellen Kanäle verstopft sind, suchen sich Menschen unbürokratische Wege um die vereinbarten Ziele zu erreichen. Im Sinne Ordnungsmäßigkeit ein gefährlicher Kurs!
- Gibt es bereits Genossenschaftsbanken, welche die obigen Ansätze umsetzen? Wie könnten kreative Lösungen aussehen, ohne die aufgrund regulatorische Anforderungen grundsätzlich notwendige Funktionstrennung zu verletzen?
- Vertrauen Sie auf Ihre Planungen bzw. Ihre Steuerung oder in Zeiten von Komplexität nicht doch besser auf Ihre Mitarbeiter bzw. Teams und deren Intuition bzw. Kreativität?
- Können Sie sich die oben dargestellte Organisationsform (Trennung blau - rot) für Ihre VR Bank vorstellen?
Literaturtipps / Links:
https://intrinsify.de/die-besten-mitarbeiter-machen-noch-lange-nicht-die-beste-mannschaft/
...und noch ein empfehlenswertes Buch von Lars Vollmer zum Thema Arbeit, Beschäftigung und Businesstheater (ich habe viel von ihm gelernt, danke Dir Lars):
https://www.amazon.de/Zur%C3%BCck-Arbeit-Business-Theatern-wertsch%C3%B6pfend-Management-Buch/dp/3709306124/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1551452610&sr=8-1&keywords=zur%C3%BCck+an+die+arbeit
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