Verhaltenskultur, Wertekultur und mögliche Appelle des Managements
Von Thomas M. Brösamle
Wie konform ist sie doch die neue genossenschaftliche Welt, obwohl doch alle individuell und einzigartig sein wollen, schließlich will / muss man sich ja von Diba Diba Du & Co. abgrenzen. An einem regnerischen Wochenende habe ich mir mal Positionierungen, Leitbilder und Kundenversprechen von Volks- und Raiffeisenbank auf den Homepages angesehen. Die oben genannten Adjektive wiederholen sich erstaunlicherweise immer wieder, egal in welcher Region, egal ob groß oder klein.
Würde man sich in anderen Branchen auf die Suche machen, käme man vermutlich zu ähnlichen Ergebnissen - eine bittere Erkenntnis! Aber warum ist es Unternehmen so wichtig aufzuschreiben und publik zu machen, wie man ist, wie man gerne wäre oder wahrgenommen werden möchte? Warum verhält man sich nicht einfach so und überlässt die Wahrnehmung oder Wirklichkeitskonstruktion den Kunden und Mitarbeitern? Hier schlägt er zu der gemeine Managementreflex - und fast keiner kann sich dagegen wehren, es ist ja ein Reflex- oder doch? Ich will versuchen das zu beleuchten, mit dem Ziel, Ihnen einen Impuls zu geben und ein neues Denkmuster anzubieten.
Wie so oft lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit, hier in die Zeit des Taylorismus (vgl. hierzu Geno-Impuls Nr. 1). Eine Welt der trägen Märkte, der Massenfertigung und einer arbeitenden, systemkonformen Belegschaft. Der Schichtarbeiter einer Fabrik hatte vermutlich immer dann ein gutes Leben, wenn er sich an die Spielregeln gehalten hat - Pünktlichkeit, Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften, gleichartige Reproduktion von Arbeitsergebnissen etc. Ist im Prozess etwas Unvorhergesehens passiert, so machte er Meldung an seinen Schichtleiter oder den Werksmeister. Kreativität, Problemlösungskompetenz oder eigene Ideen waren nicht / kaum erforderlich - es gab ja Manager! Es etablierte sich die sogenannte Verhaltenskultur. Das gewünschte Verhalten wurde vom sozialen System eingefordert oder zur Not mit formaler Macht „erzwungen“. In trägen Märkten mit Ihren Standards, Regeln, Prozessen und einer vertikalen Arbeitsteilung (oben wird gedacht, unten wird gemacht!) eine prima Sache. Doch in einer VUKA-Welt mit Dynamik, vielen Überraschungen und zunehmender Komplexität offensichtlich nicht mehr ausreichend. Von was spricht man also, nachdem ein systemkonformes Verhalten für die Überraschungen der modernen Wertschöpfung nicht mehr ausreicht? Es geht um Unternehmenskultur bzw. konkreter um eine Wertekultur. Kein Tag vergeht in deutschen Volks- und Raiffeisenbanken, wo nicht über das Thema gesprochen wird.
Und wer macht die? Ja, na klar der Manager, dafür ist er ja da, er ist ja der „Macher“. Also gibt es Meetings, Workshops und Konferenzen in denen Leitbilder, Visionen, Missionen und Kundenversprechen diskutiert und erarbeitet werden. Und weil man so stolz ist auf die Ergebnisse und weil es ja so wichtig ist, hängt man diese überall auf, um sie nach innen und außen sichtbar zu machen. Alle sprechen von Werten und Kultur, der neuen, der guten Kultur.
Alle sind begeistert (oder tun so als ob) und sind fest davon überzeugt, dass alles besser wird. Man schwört sich miteinander auf diese Leitbilder ein. Kaum sind die erarbeiteten Werke kommuniziert und veröffentlicht, passiert aber etwas ganz Komisches. Ja, es wird dagegen verstoßen, obwohl man sich doch ganz fest etwas anderes vorgenommen hat. Keiner will das so, es passiert aber trotzdem (klingt komisch, ist aber so). Die vorherrschende Unternehmenskultur stabilisiert eingefahrene Muster, sie wirkt dabei wie ein Kraftfeld. Der junge Mitarbeiter, welcher das Prozedere zum ersten Mal mitmacht, ist irritiert und etwas verstört und fragt die erfahrenen Kollegen - die alten Hasen. Die berichten, dass das schon immer so gelaufen sei. Der junge Kollege schluckt und fragt sich, warum das so sein muss...
Ein kurzer theoretischer Exkurs:
Es gibt individuelle und kollektive Werte. Die individuellen Werte haben Sie aufgrund Ihres Werdegangs (Kindheit, Umstände, Umfeld, Ereignisse, Erfahrungen ...). Sie sind so wie sie sind und sind einfach da. Die kollektiven Werte sind im Gedächtnis der Organisation abgespeichert, wer sich bei Kommunikation oder Handlung darauf bezieht, wird Zustimmung erfahren. Diese unterliegen aber nicht dem Willen (ich verhalte mich so oder so) sondern Gefühlen - also außerhalb der Ratio. Werte sind Kraftfelder für das Verhalten; eine Forderung nach Werten ist also Quatsch, werden diese gefordert, so wird meist „wertekonformes“ Verhalten vorgetäuscht. Hand aufs Herz: Wie soll denn die Summe aller individuellen Werte der gesamten Belegschaft in einer Organisation zu kollektiven, gemeinsamen Werten zueinanderfinden?
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Was passiert also wenn Führungskräfte ein Verhalten entgegen der schriftlich fixierten Werte feststellen? Sie fordern diese über Appelle ein. Das klingt dann ungefähr so:
- Arbeitet doch endlich mal zusammen
- Ihr müsst Euch als Dienstleister verstehen
- Seid doch endlich mal flexibler / agiler
- Übernehmt doch bitte mal Verantwortung
- Seid doch endlich mal selbständig
- Macht doch bitte mal das, was ihr sollt
- Ihr müsst schon den Maier integrieren, so geht das einfach nicht
- Ihr müsst doch nicht wegen jeder Kleinigkeit zum Chef rennen
- ...
- Wieso müssen Sie dann jede Reisekostenabrechnung freigeben? Wieso braucht es überhaupt Regelungen für Reisekosten und Bewirtungen?
- Wieso brauchen Sie dann ein Zeiterfassungssystem? Würde ohne dieses nicht oder zu wenig gearbeitet werden?
- Wozu braucht es dann Zielvereinbarungen? Kennen Mitarbeiter ihre Fokusthemen etwa nicht wenn man sie nicht schriftlich vereinbaren würde?
Wenn Sie also den Kollegen vertrauen, dann sagen Sie es Ihnen nicht, sondern handeln Sie einfach entsprechend.
Fazit / Impulse:
- Kollektive Werte kann man nicht kausal verändern oder einfordern.
- Das Schimpfen auf eine Situation stabilisiert diese!
- Ein Unternehmen als soziales System ist in der Lage sich selbst zu beobachten. Übernehmen Sie also diese Beobachterrolle und legen Sie Ihr eigenes Verhalten oder das Verhalten der Kollegen über Ihre schriftlich fixierten Werte bzw. die Appelle und Aufforderungen. Stellen Sie dabei Abweichungen fest? Wenn ja, machen Sie diese transparent und konfrontieren Sie die Organisation "in guter Absicht" damit.
- Arbeiten Sie am System und nicht am Verhalten der Kollegen. Über veränderte Praktiken kommen Sie automatisch, wie von Geisterhand gemacht, zu neuen Werten. Denken Sie daran: Kultur und Werte kann man nur beobachten!
- Die kulturelle Währung in der blauen, komplizierten Welt ist Strafe, Belohnung und das Argument. Für die Ausübung braucht es Macht, die Folge ist Disziplin. In einer komplexen Welt brauchen Sie Ideen und Innovationen. Voraussetzung dafür sind mündige Menschen mit Entscheidungswillen und -freiheit. Schaffen Sie die strukturellen Rahmenbedingungen hierfür.
- Über ihre kollektivierten Werte sind Sie in Ihrer Kultur gefangen. Das Unternehmen sorgt dabei dafür, dass alles so bleibt wie es ist. Es braucht also Ihre List diese zu überwinden. Stören Sie das System durch neue Praktiken und Musterbrüche!
- Anstelle von Leitbildern, Visionen, Missionen und Kundenversprechen empfehle ich die gemeinsame Erarbeitung von Zielbildern. Wie so etwas aussehen kann sehen Sie in den beiden nachfolgenden Links: Kelvy Bird vom MIT (Champions League der Illustration bzw. Visualisierung): http://www.kelvybird.com/ ODER eine schöne Umsetzung von der Berliner Beratungsfirma Procedera: https://karriere.procedera.de/
Zum Abschluss noch etwas zum Schmunzeln oder Nachdenken: Wer Zäune um Menschen baut, der erhält Schafe und um ein vorbildliches Mitglied einer Schafherde zu sein, muss man vor allen Dingen eines sein: Ein Schaf!
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