Von Thomas M. Brösamle
Ich werde versuchen in diesem Blog-Artikel das Thema Konformität und Unternehmenskultur von verschiedenen Seiten zu beleuchten bzw. Analogien zu anderen Ereignissen bzw. Lebensbereichen herzustellen.
Vielleicht kennen Sie im privaten oder beruflichen Umfeld Situationen, in denen Menschen auf Basis Ihrer Beobachtung komische Dinge tun. Werden sie darauf angesprochen, kommen sie ins grübeln und räumen ein, dass das eigentlich keinen Sinn macht oder anders deutlich besser funktionieren würde. Dieses Phänomen kennen Führungskräfte insbesondere aus der Phase, in der sie ein neues Team übernehmen und sich erstmals im Rahmen einer Bestandsaufnahme mit den Prozessen beschäftigen. Auf die Frage nach dem warum bekommen Sie dann oftmals die Antwort: Das haben wir schon immer so gemacht! Oder: Das habe ich so von meinem Vorgänger übernommen. Die vorherrschenden Muster stabilisieren sich also - gewohnte Abläufe wirken also wie ein Kraftfeld. Im Geno-Impuls Nr. 5 habe ich Ihnen dieses Phänomen von sozialen Systemen am Beispiel der Krake Luhmi erklärt - diese ist ein "Spießer" - Übersetzung: soziale Systeme sind konservativ und vergangenheitsstabilisierend. Sie lieben es also, wenn alles so bleibt wie es ist. Warum ist das so? Menschen unterliegen einem Konformitätszwang. Ohne Konformität wäre ein Leben in einer sozialen Gemeinschaft (z.B. Familie oder Unternehmen) nicht möglich, sie ist also auf der einen Seite notwendig. Auf der anderen Seite bringt Sie Menschen dazu gleichgültig komische Dinge zu tun, ohne groß darüber nachzudenken oder aber, und jetzt wird es kritisch, sich gegen den eigenen Willen oder die eigene Überzeugung unterzuordnen, weil ihnen das soziale System das abverlangt (vgl. dazu auch Geno-Impuls Nr. 6).
1. Annäherung (Wartezimmer):
Eine gute Erklärung hierzu finden Sie in dem nachfolgenden Video, welches eine Szene in einem Wartezimmer einer Arztpraxis mit versteckter Kamera zeigt.
https://www.youtube.com/watch?v=fChsHd3F_0c
Also mal ehrlich, keine Kraft dieser Welt zwingt die Menschen in dieser Situation komische Dinge zu tun. Warum tun sie es aber doch?
2. Annäherung (Affenkäfig):
Stellen Sie sich einen Käfig mit 10 Affen vor. An der Decke hängen einige Stauden frischer Bananen. Immer dann wenn einer der Affen versucht nach den Bananen zu greifen, bekommen alle 10 einen kalten Strahl Wasser ab. Was passiert also? Die Affen hindern sich gegenseitig daran nach den Bananen zu greifen - eine gut eingespielte Routine. Dann wird einer der Affen gegen ein neues Mitglied im Käfig ausgetauscht. Der entdeckt das leckere Obst im Käfig und macht sich auf den Weg zu diesem. Was machen die übrigen 9 Affen? Ja klar, sie hindern ihn daran, schließlich wollen sie ja keine kalte Dusche abbekommen. Stück für Stück werden die Affen ausgetauscht bis alle 10 ursprünglichen Affen gegen Neue getauscht sind. Immer dann wenn ein neues Mitglied in den Käfig kommt vollzieht sich das gleiche Schauspiel. Die Affen hindern sich gegenseitig am Verzehr der Bananen. Am Ende des Experimentes gibt es keinen Affen mehr der jemals eine kalten Strahl Wasser abgekommen hat und trotzdem hindern sie sich gegenseitig daran nach den Bananen zu greifen. Könnte man die Affen befragen - warum haltet ihr euch gegenseitig davon ab die reifen Bananen zu essen? Vermutlich würden sie wie die Mitarbeiter im Beispiel oben mit den Achseln zucken und lange Gesichter machen. Eine sachliche Begründung könnten Sie jedenfalls nicht liefern. Erkennen Sie schon gewisse Parallelen zur Unternehmenskultur?
Ich werde das Experiment am Ende des Geno-Impulses nochmals aufgreifen.
3. Annäherung (Brettspiel):
Samstag Abend, die Familie Huber sitzt mit den kleinen Kindern zusammen und spielt "Dog" - ein schweizerisches Brettspiel. Wie so oft haben die beiden Kinder das meiste Glück mit den Karten und die Mutter, die schon die vierte Runde ganz knapp verloren hat, ist innerlich leicht angespannt und entwickelt einen inneren Zorn gegen die jüngste Tochter. Die erfreut sich bester Laune, nachdem sie eine Runde nach der anderen gewinnt und zeigt das auch! Die Mutter, die ihre beiden Kinder über alles liebt, ist nach dem Spiel derart über ihre Gefühle erschrocken, dass sie das Bedürfnis hat mir ihrem Mann darüber zu reden. Dieser kennt das Phänomen und erklärt es ihr wie folgt:
Das Brettspiel spielt sich selbst mit seinen eigenen Spielregeln. Auch wenn es faktisch ja von Menschen gespielt wird, so sind diese aber nur notwendige Voraussetzung für das Spiel. Übrigens eine gute Analogie um die Eigenlogik von sozialen Systemen zu erklären. Überträgt man das nun auf Unternehmen, so würde man sagen, dass Menschen in den vom Unternehmen vorgesehenen Rollen kommen und gehen. Die Spielregeln der Firma ändern sich dadurch aber nicht. Jedem Mitarbeiter wird eine Rolle mit daran geknüpften Erwartungen zugewiesen.
4. Annäherung (Dschungel):
Stellen Sie sich einen dichten Dschungel vor. Das Start Up-Unternehmen weiß, dass es einen Weg durch diesen finden muss, da auf der anderen Seite des Urwaldes der Kunde mit seinen Bedürfnissen wartet. Nur wenn sie einen Weg zu ihm finden, werden sie überleben bzw. sich am Markt behaupten können. Das junge Unternehmen hat hoch motivierte Mitarbeiter, welche richtig Spass haben neue Wege zu finden und sehen es als sportliche Herausforderung, gemeinsam in Etappen einen ersten Pfad durch das Dickicht zum Kunden zu schlagen. Sie wissen, nur wenn Sie mit vollem Elan gemeinsam einen Weg suchen werden Sie es schaffen. Der Kunde freut sich, als er die Mitarbeiter nach kurzer Zeit entdeckt, in Händen halten sie das begehrte, vom Kunden gewünschte Produkt. Gerne zahlt dieser dafür einen angemessenen Preis. Nachdem der Weg durch den Dschungel geschlagen ist, nutzt das Start Up-Unternehmen nur noch diesen Weg, schließlich war dieser ja am Anfang erfolg- und ertragreich. Keiner der inzwischen 100 Mitarbeiter kommt auf die Idee den inzwischen ausgetretenen Pfad zu verlassen und nach neuen Wegen (neuen Produkten) zu suchen. Die vorherrschende Kultur hat zum einen die etablierten Muster als DNA im Unternehmen gespeichert, zum anderen sorgt der Immunapparat dafür, dass keiner auf die Idee kommt etwas Neues auszuprobieren / einen besseren oder kürzeren Pfad durch den Urwald zu suchen. Beide Mechanismen wirken stabilisierend wie ein Kraftfeld.
Fazit: Neue Wege durch den Dschungel sind möglich aber eher unwahrscheinlich und setzen Mut, Entdeckergeist und Beharrungsvermögen des / der Beteiligten voraus. An dieser Analogie kann man auch gut festmachen, dass Teile der Unternehmenskultur unsichtbar, also im Dschungel versteckt bleiben. Im Bild eines Theaters gesprochen, wäre das die sogenannte Hinterbühne, also der informelle Teil der Organisation (vgl. dazu auch Geno-Impuls Nr. 3).
5. Annäherung (Schatten):
Die beobachtbare Kultur einer Firma ist wie ein Schatten. Man kann sie sehen, bekommt sie aber nicht zu fassen und kann sie demzufolge auch nicht kausal verändern. Der Schatten folgt seinem Spender, Kultur folgt also den Verhältnissen und ist somit niemals der Ursprung (im englischsprachigen Raum würde man sagen: „culture is read-only“). Mitarbeiterbefragungen und Unternehmenskulturprogramme bleiben aus diesem Grund meines Erachtens immer wirkungslos, auch wenn das mancher Manager gerne anders hätte oder anders wahrnimmt....
Fazit: Will man Kultur wirksam gestalten, braucht es immer den „Umweg“ über die Veränderung von Strukturelementen bzw. Rahmenbedingungen. Was dabei hilft, ist die Unterscheidung in sogenannte beobachtbare (nicht entscheidbare) und veränderbare Entscheidungsprämissen. Vorsicht: Nicht jede Maßnahme ist (sofort) wirksam. Bedenken Sie, dass das soziale System grundsätzlich keine Veränderungen mag und dabei nicht immer so auf eine „Störung“ reagiert wie Sie das gerne hätten - es ist ja komplex!
- Verfallen Sie nicht dem Managementreflex und versuchen Sie eben nicht die Kultur in Ihrem Unternehmen zu gestalten oder kausal zu verändern (vgl. hierzu auch Geno-Impuls Nr. 6)
- Lernen Sie die Kultur zu akzeptieren wie sie ist. Jedes Unternehmen hat genau die Kultur die es verdient.
- Binden Sie neue Mitarbeiter in die Kulturbeobachtung ein, sie sind die ersten Monate noch nicht betriebsblind. Hören Sie dabei genau zu und versuchen Sie dabei gemeinsam Unterscheidungen zu erarbeiten. Im Sinne der Systemtheorie ist das Beobachten eben unterscheidendes Bezeichnen (sorry für die sperrigen Begriffe). Oft kommt es bei der Beobachtung auf kleine Details an.
- Sollten Sie die Maßnahme breiter anlegen wollen, oder wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie selbst dafür blind sind, holen Sie sich Hilfe von außen (sog. Beobachter 2. Ordnung). Eine erste Maßnahme wären dabei sogenannte verkettete Gespräche mit anschließender Konfrontation der Organisation mit den wertungsfreien Beobachtungen. Oftmals entstehen dabei erste Veränderungen aus dem sozialen System heraus, ohne weitergehende Interventionen. Die Konfrontation löst Betroffenheit und auf dieser Basis Diskussionen aus.
- Wirksame Maßnahmen für die Störung des sozialen Systems sind sogenannte Musterbrüche (ich selbst führe hierüber eine Art Tagebuch) oder
- ein Schutzraumprojekt bei welchem man auf Basis von Hypothesen eine Art Laborsituation schafft und einer neuen Art von Arbeit in einer geschützten Umgebung „auf die Welt“ hilft. Da die Gefahr besteht, dass die Organisation dagegen vorgeht, braucht es hierfür immer den Schutz aus dem Topmanagement. Um im Bild des Affenkäfigs zu bleiben (siehe oben - 2. Annäherung) würde man also einen Glaskörper einziehen, in dem dann Affen ohne Bestrafung nach Bananen greifen können. Sie selbst würden es durch Ausprobieren wieder erlernen UND der ganze Käfig / die gesamte Organisation könnte dabei zusehen, dass eben keine kalte Dusche beim Bananenverzehr zu befürchten ist.
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