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Geno-Impuls Nr. 9

X oder Y - der Lackmustest für Führungskräfte

Von Thomas M. Brösamle

 

"Der Mensch ist nun einmal so geartet, dass er seine volle Leistungsfähigkeit nur da entwickelt, wo man ihn ganz auf eigene Kraft verweist. Nur wer auf eigenen Füßen steht, ist ein freier Mann." (Hermann Schulze-Delitzsch, 1808 - 1883).

 

Ich beginne diesen Geno-Impuls mit einer provokanten These: Ohne das richtige Menschenbild, ohne Zutrauen und Vertrauen, funktionieren partnerschaftliche, sinnstiftende und wertschöpfende Formen der Zusammenarbeit definitiv nicht.

 

Zu Beginn eine kurze theoretische Einführung in die sogenannte Theorie X und Theorie Y von Douglas McGregor (1906 - 1964), Professor für Management am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston aus den Jahren 1960 / 1961.

 

Theorie X - Mitarbeiter sind:

  • faul, lehnen die Arbeit grundsätzlich ab und versuchen so wenig wie möglich zu tun; sie sind schwierig und unsicher >> daraus folgen:
  • strenge Vorschriften, Regeln und Kontrollen >> diese bewirken:
  • passives Arbeitsverhalten >> dies führt zu:
  • Vermeidung von Verantwortung und Initiative >> folglich:
  • man muss ihnen genau sagen was, wie und wann sie etwas tun sollen
  • korrespondierender Managementstil: autoritär, Zuckerbrot und Peitsche in Form von Kontrolle sowie monetären Anreizen
  • Erstes Zwischenfazit:  Menschen sind grundsätzlich faul und müssen extrinsisch motiviert werden.

 

Theorie Y - wenn Mitarbeiter:

  • … die Chance dazu haben, tun sie das was für die Organisation gut ist >> daraus folgt:    
  • Handlungsspielraum und Selbstkontrolle >> dies ermöglicht:
  • Engagement für die Arbeit >> dies führt zu:
  • Initiative und Verantwortungsbereitschaft >> dies verstärkt:
  • den Arbeitswillen und das Engagement
  • korrespondierender Managementstil: kooperativ, Eigenverantwortung, Vertrauen
  • Zweites Zwischenfazit: Durch passende Arbeitsbedingungen sind Mitarbeiter intrinsisch motiviert.

 

Schlussfolgerung: Es gibt nur den Y-Menschen. Aber: Jeder Mensch ist jedoch in der Lage sich angepasst "x-ig" zu verhalten. Die (noch) überwiegende hierarchisch-bürokratische Organisationsform befördert genau dieses angepasste, reaktive und passive Verhalten. Führungskräfte arbeiten systembedingt mit Weisung und Kontrolle sowie engen und kleinteiligen Vorgaben. Das x-ige Verhalten ist in diesem Sinne eine selbsterfüllende Prophezeiung und ein in sich geschlossener, stabiler Kreislauf.

 

Soweit die Theorie, welche nach meiner Einschätzung auch knapp fünfzig Jahre nach deren Veröffentlichung, aktueller denn je ist. Für mich persönlich drängen sich in diesem Zusammenhang zwei zentrale Fragen auf, welche ich dann an dieser Stelle gerne beleuchten möchte:

 

Erste Frage: Warum sollten Führungskräfte überhaupt ihr Führungsverhalten ändern? Organisationen sind doch die letzten 100 Jahre gut mit dem "x-igen" Menschenbild, dem entsprechenden Managementstil und der damit einhergehenden tayloristischen, hierarchischen Organisationsform gefahren.

 

Ich greife hierzu nochmals die zentralen Gedanken aus meinem Geno-Impuls Nr. 1 auf. In Zeiten von trägen, weiten und zeitweise stark wachsenden Massenmärkten war die naheliegende Antwort der Anbieterseite die Einführung des Konzeptes des (Scientific) Managements nach F. W. Taylor. Eine Trennung in der Vertikalen in Führung und Arbeit war erfunden (oben denken - unten arbeiten). Der Treibstoff der Maschinerie war Zentralisierung, Steuerung, Skalierung und Effizienzstreben. Die Zusammenarbeit von Führungskräften mit ihren Mitarbeitern war geprägt von Weisung und Kontrolle sowie Zielen und monetären Anreizen  - beobachtbar in Form der sogenannten Verhaltenskultur (unbedingter Gehorsam von Mitarbeitern). Das dahinter liegende Prinzip ist: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Die logische Folge ist ein x-iges Verhalten - Mitarbeiter folgen dem Konformitätsgrundsatz in dem sie sich dem vorherrschenden System anpassen.   

 

Mit zunehmender Komplexität, dynamischen Märkten in Form von Mitgliedern / Kunden mit steigenden, individuellen Anforderungen an Finanzdienstleistungen stößt das oben beschriebene System an seine Leistungsgrenzen. Gerhard Wohland meint dazu treffend, dass tayloristisch organisierte Unternehmen unter dieser Marktdynamik regelrecht „leiden“. Reinhard K. Sprenger spricht von der Notwendigkeit von "Roll-In" statt "Roll-Out". Individuelle Lösungen sind also gefragt, welche vom Mitglied bzw. Kunden her konzipiert sind. Jede Aktivität startet also aus der Marktperspektive und eben nicht aus den vielen Zentralen der VR Banken. Klingt logisch und banal und für jedermann nachvollziehbar, ist aber faktisch richtig schwierig umzusetzen, schließlich sind alle Abläufe und Strukturen über viele Jahrzehnte entsprechend erarbeitet und optimiert worden. Das Zentrum müsste für Roll-In bedingungslos Macht an die Peripherie abgeben, also an den Ort (nicht räumlich gemeint), wo jeden Tag genossenschaftliche Wertschöpfung entsteht. Warum? Weil langweilige Lösungen von der Stange, unangemessene Preise und (zu) lange Entwicklungs- und Bearbeitungszeiten - trotz einer gewissen Trägheit der Masse - zunehmend häufiger durch Illoyalität der Mitglieder und Kunden bestraft werden. Die funktionale Trennung in Management und Arbeit funktioniert so nicht mehr!

 

Wenn dann also in der Folge die finanzielle "Grundversorgung" komplett digitalisiert ist (Onlinebanking...), braucht es mehr denn je den sympathischen und kompetenten VR-Menschen, welcher den Mitgliedern und Kunden aufmerksam zuhört, um dann gemeinsam mit seinen Teamkollegen maßgeschneiderte Finanzlösungen zu entwickeln. Weil die Erwartungen in zeitlicher und qualitativer Hinsicht nicht nur erfüllt, sondern sogar übertroffen wurden, erzeugt das echte „Wow-Erlebnisse“. Nur dann werden Mitglieder und Kunden bereit sein angemessene und faire Preise zu bezahlen und ihrer VR Bank die Treue halten. 

 

Fazit: Nur intrinsisch motivierte Mitarbeiter, welche bereit sind Verantwortung zu nehmen und Leistung zu geben, werden diesen steigenden Marktanforderungen gerecht werden. Aufgabe des Managements ist es mehr denn je, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen. Der Nucleus hierfür ist ein korrespondierendes Menschenbild.

 

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Kurzer Exkurs zur Sinnesschärfung als Vorspann zur zweiten Frage : Bedenken sollte man, dass soziale Systeme konservativ und vergangenheitsstabilisierend sind; sie "lieben" alles Vorhandene, was sie also bereits kennen und was sich regelmäßig repliziert. Jede Veränderung in Form von Störung oder Irritation wird zunächst argwöhnisch betrachtet. Wie das System darauf reagiert lässt sich niemals 100 %-ig vorhersagen (Stichwort: Kontingenz von Ereignissen und Autopoiese von sozialen Systemen). Aber: Soziale Systeme haben eine Unwucht, laufen also unrund, d.h. man kann versuchen diese durch geschickte Intervention zu stören oder zu überlisten.

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Zweite FrageWie durchbricht man diesen Teufelskreis aus "x-igem Verhalten, Weisung, Kontrolle und monetären Anreizen (aus meiner Sicht eine Art "Katz-und-Maus-Spiel")?

 

Ganz einfach:  durch Vertrauen. Das Vertrauen zwischen Führungskraft und Mitarbeiter hat einen unmittelbaren Einfluss auf den Unternehmenserfolg. Nur ein Mitarbeiter der das Vertrauen seines Vorgesetzten spürt, wird bereit sein Verantwortung zu übernehmen, Risiken bewusst einzugehen, was wiederum zu schnellem Handeln und Flexibilität in der Genossenschaft führt. Nur wenn dieser sicher ist, dass Fehler in einem gewissen Rahmen toleriert werden, ist er bereit diese Risiken einzugehen. 

 

Das bewusste Eingehen von Risiken ist wiederum der Motor für Innovation und Kreativität. Nur dadurch werden Volks- und Raiffeisenbanken auf zunehmend komplexen Märkten bestehen. Gelingen wird das nur mit einer professionellen, engen Kooperation von Mitarbeitern - Vertrauen wird dabei zum "Turbo Booster". Die Führungskraft muss also loslassen und vertrauen, aber trotzdem präsent sein und latent Kontrolle ausüben  - ein für viele eingefleischte Manager schmerzliches, teilweise unmögliches Unterfangen. Eine zentrale Steuerung oder ein „Managen“ im Sinne von beherrschen und kontrollieren wird zur Illusion. 

 

Ein Zitat von Reinhard K. Sprenger (einem der renommiertesten deutschen Managementberater und u.a. Autor von "Mythos Motivation"): „Vertrauen ist die (reflektierte) Erwartung, dass kooperatives Handeln nicht ausgebeutet wird. Daher meine Definition: Ich bin bereit, die Kontrolle eines anderen zu reduzieren, weil ich erwarte, dass der andere kompetent, integer und wohlwollend ist. Dieses Vertrauen weiß um die Gefahren der Welt und die Unzuverlässigkeit der Menschen. Es ist sich bewusst, dass Menschen sich nur allzu oft vereinbarungswidrig und verantwortungslos verhalten. Es ist bereit, sich diesem Risiko auszusetzen und dennoch von der Berechenbarkeit der Verhältnisse und der Vertrauenswürdigkeit der Menschen auszugehen.  ....  Dieses Vertrauen ist weder blind noch naiv.

 

Ein ernst gemeinter Rat: Sprechen Sie als Führungskraft niemals Vertrauen aus oder fordern Sie dieses auch nie aktiv ein, sondern handeln Sie nonverbal ganz bewusst vertrauensvoll bzw. -erzeugend. Oft machen Kleinigkeiten im Handeln und Tun den entscheidenden Unterschied. Das rhetorische Einfordern von Vertrauen führt genau zum Gegenteil - vordergründig erzeugt es im schlimmsten Fall Heuchelei und auf der Hinterbühne führt es zu Zynismus. Maxime: vertrauensbildendes Handeln ohne jegliche Appelle!

 

Wie kann nun eine solche Form der Zusammenarbeit konkret aussehen?

Quelle: Reinventing Organizations visuell - Frederic Laloux (verbunden mit einem herzlichen Dank für die Freigabe der Illustration)

Eines meiner Lieblingsbilder aus einem der inspirierensten Managementbücher, welche man zum Thema "Neue Arbeitswelten" bzw. sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit lesen kann: Reinventing Organizations von Frederic Laloux

 

Was erkenne ich in der Illustration bzw. was interpretiere ich hinein:

 

  1. Menschen akzeptieren sich in ihrer Individualität und Andersartigkeit bzw. Unterschiedlichkeit.
  2. Diese Gruppe arbeitet miteinander und insbesondere füreinander.
  3. Die Organisationsform entspricht einem ovalen Netzwerk (innen - außen statt oben - unten wie bei einer hierarchischen Organisationsform)
  4. Diese Menschen befinden sich auf einer Stufe und begegnen sich auf Augenhöhe.
  5. Jeder bringt seine individuellen Stärken ein - diese ergänzen sich perfekt zum großen Ganzen.  
  6. Führung ist dringend notwendig - hier findet sie jedoch sozial legitimiert statt.
  7. Das Team vereint alle Kompetenzen um autonom Wertschöpfung zu erzeugen.
  8. Keiner kommt dem anderen aus; der Kitt ist Kommunikation - man vertraut einander und kann sich deshalb konfrontieren. Jede Konfrontation führt zu einem Zuwachs an Vertrauen und sozialer Dichte.  

Denke ich an Genossenschaft 2.0, so wünsche ich mir sehnlichst diese Form der Zusammenarbeit. Der Weg dorthin muss aktiv gestaltet werden - ein steiniger Weg mit manchen Rückschlägen, wozu es unbedingt formale Macht mit entsprechenden Visionen braucht. Erfreulicherweise ist diese Zusammenarbeit aber an manchen Stellen im genossenschaftlichen Finanzverbund (innerhalb von Organisationen aber auch übergreifend im Verbund) bereits beobachtbar. 

 

Warum glaube ich an diese Form der Zusammenarbeit? Zum einen wegen meines unbedingt erwachsenen Menschenbildes, zum anderen aber, und das ist meine tiefe Überzeugung, weil nur solche Organisationen zukunftsfähig und wettbewerbsfähig sein werden. Nur mit selbständig handelnden, erwachsenen und eigenverantwortlichen Mitarbeitern wird man genossenschaftliches Bankgeschäft erfolgreich in die Zukunft führen können. Menschen = Innovation = Wertschöpfung = Zukunft


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