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Geno-Impuls Nr. 13

Warum Fairness die moderne Weiterentwicklung von Gerechtigkeit ist.

Von Thomas M. Brösamle 

 

Jetzt schlägt es aber dreizehn! Ausgerechnet in diesem Geno Impuls dreht sich alles um Gerechtigkeit und Fairness. Fairness überwindet in diesem Kontext manches subjektiv erlebte Unglück von Gerechtigkeit; Fairness ist also die Gerechtigkeit 2.0.

 

Erinnern Sie sich noch an den Film "The Wall" mit der genialen Musik von Pink Floyd?

 

 

Soldaten, dargestellt als Hammer, rhythmisch und konform marschierend zur Musik in Reih und Glied. Ein Sinnbild für Gehorsam, Disziplin, Systemkonformität, aber auch objektivierte Gerechtigkeit und Gleichmacherei. Im Film wohl eher bezogen auf das starre und einschränkende schulische Bildungssystem und das Aufbegehren der Jugend. Wenn ich das Bild sehe, habe ich sofort wieder die Musik im Ohr... 

 

Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich - das ergibt sich unmittelbar aus Artikel 3 unseres Grundgesetzes (der sogenannte Gleichheits- oder Gleichbehandlungsgrundsatz). Alle staatliche Gewalt ist verpflichtet diesen Rechtsgrundsatz zu verteidigen und einzufordern; ein Grundpfeiler einer jeden demokratischen Grundordnung. Aber ist das schon alles was es dazu zu sagen oder schreiben gibt? Ich meine nein... 

 

Warum funktioniert das nicht immer? Weil dabei oftmals spezifische Situationen oder Umstände unberücksichtigt bleiben. Der Rechtsstaat kennt dem Grunde nach nur objektivierte Gerechtigkeit. 

 

Die Mediation erlebt derzeit einen großen Aufschwung. Warum? Mediation bzw. die Mediatorin / der Mediator muss sich in die Situation und in die Positionen und Argumente der streitenden Parteien hineinversetzen. Was ist also in diesem spezifischen Konzext fair NICHT objektiv gerecht? Wie gelingt eine Lösung die beiden Positionen gerecht wird?

 

Der deutsche Ökonom Birger Priddat beschreibt, dass wir Gerechtigkeit nicht als die eigene Fähigkeit annehmen, sondern „als Anforderung an andere, von ihnen Gerechtigkeit zu bekommen (....) Gerechtigkeitsansprüche haben eine fundamentalistische Tendenz, da sie mit Drohpotenzial einhergehen.“ Es ist also ein Anspruch, eine Forderung an das politische System, an die Regierung, an die Gesellschaft oder das eigene Umfeld. 

 

Wir brauchen also keine objektivierende Gerechtigkeit sondern subjektive Fairness. Priddat erklärt dazu: Gerechtigkeit wird als Gleichheit missverstanden, und dabei kommt nur Gleichmacherei heraus. Angemessene Unterschiede und das Eingehen auf individuelle Verhältnisse und Eigenheiten der Person können mit dem gängigen Gerechtigkeitsbegriff nicht gelöst werden. Fairness ist ein höheres Gerechtigkeitskonzept. Einer modernen, hochdiversifizierten Gesellschaft angemessen. Man muss sich in spezifische Situationen eindenken, einfühlen und diese in Gänze verstehen. 

 

In Komplexität bzw. einer VUCA-Welt hat der Gerechtigkeitsbegriff zunehmend öfter ausgedient. Fairness ist also die moderne, komplexitätskompatible Form von Gerechtigkeit - sozusagen deren ausdifferenzierte Weiterentwicklung.

 

Okay, das war bisher eher abstrakt und theoretisch. Nachfolgend einige Beispiele aus dem beruflichen und genossenschaftlichen Kontext: 

 

Ein Ausflug in die Zeit der Industrialisierung in einer x-beliebigen Fabrik und in die damit einhergehende Hochzeit der Mitbestimmung. Die Gewerkschaften bzw. die Betriebsräte wachen über die gerechte Verteilung der Entlohnung inklusive aller „Nebengeräusche“ (Rechtsgrundlage: § 87 Betriebsverfassungsgesetz - Mitbestimmungsrechte). Beispielsweise der Flächentarifvertrag: er regelt eine gleiche Bezahlung, egal ob im tiefsten Bayerischen Wald (vergleichsweise niedrige Lebenshaltungskosten) oder in einer "teuren" Großstadt wie Stuttgart oder München. Sicherlich objektiv betrachtet gerecht (gleiches Geld für gleiche Arbeit) - aber ist das fair oder angemessen?

 

Wichtigster Grundsatz der gewerkschaftlichen Arbeit ist die Gleichbehandlung aller, egal wie gut oder schlecht das Verhandlungsergebnis auch sein mag, Hauptsache es ist gerecht für alle. Diese oben beschriebene Fabrik aus Zeiten der tayloristischen Industrialisierung stirbt aus und damit auch die augenscheinliche Gerechtigkeit. An ihre Stelle treten neue Formen von Arbeit, erbracht von mündigen und erwachsenen Mitarbeitern mit Eigenverantwortung, die im jeweiligen Kontext fair behandelt werden wollen und hierfür auch ggfs. einen Diskurs führen. Die Gesellschaft ist bunt und erwachsen damit auch ihre Bürger und Mitarbeiter... 

 

Die VR Bank Irgendwo stellt einen neuen Leiter Firmenkundengeschäft ein. Das Team ist aufgrund der Historie (Gründe hierfür lassen wir einfachheitshalber einfach weg) verunsichert; jeder Betreuer "macht sein Ding". Die Bank beschließt (nur) diesem Team ein Budget für eine Teamfindungsmaßnahme zur Verfügung zu stellen. Grund: Kennenlernen der neuen Führungskraft, Auflösung der Konflikte im Team und Erarbeitung eines gemeinsamen Zielbildes. Der Betriebsrat interveniert mit der Begründung, dass ja dann allen anderen Teams in der Bank ebenfalls ein solches Budget zustehen würde. Der Vorstand reagiert und kassiert das Budget...

 

Eine logische (naheliegende) Reaktion, der Vorstand muss das tun, will er nicht den Betriebsfrieden gefährden. Sicherlich eine objektiv betrachtet "gerechte" Lösung; aber ist das fair und angemessen? Bewerten Sie das bitte im Kontext dieses Geno Impulse selbst.    

 

Fazit: Fairness setzt die Fähigkeit voraus komplex zu denken, manches Denkmuster zu überwinden und sich mit Mitmenschen und deren Argumenten / Positionen auseinander zu setzen. Ein kontextloses Anwenden von rechtlichen Anspruchsnormen hilft da nicht. Ein spannender, aber auch anstrengender Weg... 

 

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